Dennis Meier: Das Gewahrwerden des Raumes vor dem Bild als Gewahrwerdung des Raumes im Bild Ein ewiges Schauen

zum wechselnden Blick



Umschliesst der Bernstein

das malende Sehen



Ungerührt



Das einer gepressten Tiefe

zu den Rändern Rinnende



Ein dunkles Vielfarbglimmen



Für Lev Khesin




Das Gewahrwerden des Raumes vor dem Bild als Gewahrwerdung des Raumes im Bild.

- Zu Lev Khesins neuen Arbeiten





Im Bestand der Nationalgalerie Berlin befindet sich ein Gemälde von Barnett Newman, welches zurzeit nicht ausgestellt wird, aber zu den Höhepunten der Sammlung gerechnet werden darf. Es handelt sich dabei um Nemans "Who is afraid of Red, Yellow, and Blue, IV". Dieses Gemälde, in dem es um die Präsenz, sowohl des Berachters als auch der Farbe geht, bietet einen interessanten Vergleich zu den neuen Arbeiten von Lev Khesin. Nemwans Gemälde fordert den Betrachter auf einen Platz, genauer, einen Ort zu finden, durch welchen er des Gemäldes in seiner umfangenden Wirkung gewahr werden kann. Schon recht bald positioniert sich der Betrachter in der Mitte, vis-a-vis der blauen Fläche, die nicht ganz umsonst menschliche Dimensionen trägt. Dort stehend, umfängt das Rot und das Gelb sofort den Betrachter. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass das Auge nie still steht, weil sonst die Rezeptoren ermüdet würden, und somit die Farben nicht sichtbar wären. Jedoch weil das Auge sich bewegt, erfährt es starke Reizungen an den Rändern jeweils zum blauen Mittelfeld. Hin- und Herwandernd entehen durch solche, stets aufs Neue hervorgerufene Reizungen Nachbilder, die in verschiedenen Graden weitere Farbmischungen ergeben. So sind nicht nur die drei dominanten Grundfarben zu sehen, sondern auch Mischungen, die sich aus den Nachbildverschiebungen des Bildes ergeben.

Obgleich also der Betrachter einen Punkt vor dem Gemälde einnimmt, ist es doch die Bewegung des Auges, welche ihn überhaupt erst die Farbe, den Raum, und damit seinen Inhalt bewusst werden lässt. Durch dieses Bewusstsein selbst, durch die beständigen Reizungen der Rezeptoren, wird der Betrachter schließlich seiner selbst gewahr.



Von Farbe umfangen.



Lev Khesins Arbeiten scheinen dem konträr gegenüber zu stehen. In seinen neueren Arbeiten ist auffällig, der Betrachter findet keinen Ort, sondern er wird aktiviert, sich im Raum zu bewegen, um diesen selbst zu aktivieren. Diese fortwährende Positionsänderung im Raum hat zur Folge, das die verschiedenen Farbschichten erst als solche wahrgenommen werden können. Tiefere Ebenen wechseln mit höher liegenden Schichten. Das Licht dringt unterschiedlich in diese Farbkörper. Ähnlich einem Teich. So gibt es Bereiche in denen die Oberfläche fast dicht erscheint, während sie an anderer Stelle sich durchscheinend gibt, und tiefere Ebenen sichtbar macht. Ein piktoraler Zustand wird nie erreicht. Ein festes Bild ergibt sich nicht. Schon eine kleine Kopfdrehung reicht aus, um einen neuen Eindruck zu gewinnen. Um Verhältnisse umzukehren. Diese Veränderung der Fläche zur Tiefe mittels Licht und Pigmente und Bewegung bringt Lev Khesins Arbeit nahe zu kalifornischen Künstlern aus den 60-70er Jahren, wie etwa Mary Corse, oder Larry Bell.



In dieser steten Ortsuche, welche nie zu dem einen endgültigen Ort führt, liegt jedoch nichts Getriebenes, nichts Ruheloses. Es ist eher eine Bewegung in der eine Ruhe des Sehens möglich wird.



Der Farbraum wird begangen.



Dennis Meier, 2012