Hornig – Visionär aus der Pillnitzer Landstraße
Ingeborg Ruthe genießt die Wiederbegegnung mit den zeitlosen Bildern, Assameblagen, Skulpturen des Dresdner Abstrakten Günther Hornig, Jahrgang 1937.
Ein minimales Wunder geschieht: Was mir vor dieser mit Acrylfarben auf Leinwand gemalten Abstraktion mit dem kryptischen Titel „LON ki“, vor diesem aus Pappe und ebenfalls Acrylfarben gemachten, verschachtelten Turm namens „Strukturierte Vertikale“ passiert, ist etwas Seltenes: Das geflechtartige Labyrinth all der Vertikalen und Horizontalen, der Ebenen und Vertiefungen, der Fläche und des Raumes – sie führen beim langen Hinsehen zu einer Ordnung, die auf fast geometrische, jedenfalls mathematische Weise für Harmonie sorgt.
Seit ich – ziemlich abgehetzt, der Tag war hektisch, die Stadt voll und laut und die Zeit wieder mal viel zu knapp – die Galerie Läkemäker betreten, mich vor Günther Hornigs Bilder und Skulpturen gesetzt hatte, schwand jener diffuse Zustand von Durcheinander. Auf einmal war mir nicht mehr zumute wie einem auf den Fußboden gekippten Pudding. Das vermeintliche Chaos in meiner Optik, in meinem Kopf ordnete sich allmählich, wich einem Gefühl von Strukturiertheit und angenehmer Klarheit.
Dieser analytische, visionäre Dresdner Künstler, Jahrgang 1937, geboren in Bitterfeld, aber nie auf dem „Bitterfelder Weg“ der DDR-Kunstpolitik, hat sie also – geistig wie handwerklich – im Griff – die Kraft der Kunst, in der sich nach aller Logik gegenseitig ausschließende Prinzipien wie Chaos und Ordnung, Disharmonie und Harmonie zu einem übergeordneten Sinnbild fügen.
Ein Paradoxon eigentlich, schließlich verräumlicht Hornig die Malerei. Er vermischt informelle und konstruktive Tendenzen, bringt die bildnerische Form erst in einen labilen Ausnahmezustand und klärt dann alles zu einer neuen Ordnung. Er überzieht die Flächen mit einer farbintensiven, lebhaften Formensprache, die viel erzählen könnte. Tatsächlich aber zeigt sie nichts im Sinne von narrativem Inhalt.
Da sage einer noch, Dresden habe vierzig DDR-Jahre lang, also bis 1989, im „Tal der toten Augen“ gelegen: Weil das West-Fernsehen nicht bis dorthin strahlte. Weil die wenigsten Künstler einen Reispass „nach drüben“ bekamen. Oder weil das Publikum eher auf Traditionelles, sprich, Realistisches stand.
Visionäre Ideen von Freiheit
Seit den 1970er-Jahren ist der Maler, Plastiker, Bühnenbildner Hornig den so alltäglichen, wie oft auch mystischen Lebensprinzipien Chaos und Ordnung auf der Spur. Werke, die seither im Dresdner Künstlerhaus an der Pillnitzer Landstraße entstehen, ein merkwürdiges Gebäude, das mit seinen Halbgeschossen einem Labyrinth gleicht und dem Drang des Malers zum Räumlichen schon immer beste Anregung lieferte, sind deutlicher Dialog mit dem Konstruktivismus und Dekonstruktivismus, dem Impressionismus und Expressionismus, dem Kubismus, Futurismus, ebenso die Farbfeldmalerei und das Informel nach 1945.
Hornig hat diese Stile der Moderne hartnäckig befragt. Aber seine Arbeiten liefern keine direkten Antworten für Welt und Kunst heute. Und zugleich sind seine Struktur-Bilder und fragilen Turmkonstrukte zugleich Referenzen an die großen Konstruktivisten des 20. Jahrhunderts: an Tatlin, Malewitsch, El Lissitzky, Naum Gabo, Moholy-Nagy, Josef Albers, Mondrian und die De Stijl-Künstler. Zudem stand der damals junge Hornig auch im anregenden Kontakt mit dem alten, im Westen geschätzten Dresdner Konstruktivisten Hermann Glöckner.
Und auch das sei angemerkt: Hornig begann seine konstruktivistischen Materialbilder, die Rhythmisierung der Farbe, die De-Collage und Collage schon gut zehn Jahre vor dem erfolgreichen westdeutschen Konstruktivisten Imi Knoebel. Dieser wurde weltberühmt. Hornig, in Dresden hingegen, durfte mit seinen kreativen, visionären Ideen von der Freiheit und der Kraft und dem – mit seiner philosophischen Vision – überaus alltagstauglichen, weil aufklärenden Potenzial der Kunst lediglich als kleiner Grundlagen-Lehrer an der Akademie der Kunststadt wirken.
Sein abstrakter, analytischer, konstruktiver Stil vor der Wende zwar nicht so recht ins Kunstbild vom Realismus gepasst, wurde aber in der DDR durchaus als interessante Variante der unendlichen Möglichkeiten von Malerei akzeptiert; seine Arbeiten waren auf den großen Schauen sparsam vertreten . Der gebürtige Bitterfelder Hornig wollte nicht auf den Bitterfelder Weg der DDR-Kulturpolitik pilgern. Sein Jakobsweg zur Offenbarung (der Kunst) lag im Einzelgängertum.
Aber das wurde im Kunst- und Lehrbetrieb erst spät erkannt. 1993 kam schließlich die Berufung in eine Professur an seiner Kunsthochschule; schon 2002 emeritierte er. Heute sehr erfolgreiche Maler wie Thomas Scheibitz oder Frank Nitsche waren damals seine Schüler.
Ein Labyrinth, das lehren uns Hornigs dynamische Arbeiten, ist kein Ort der Orientierungslosigkeit. Seine Farb-Raum-Analysen und Energie-Gebilde lesen sich wie universale, gesellschaftliche Wegzeichen. Als Denkmodelle. Seine farbigen Stäbe, Vierecke, Gitterstrukturen und sich rhythmisch zur Massenbewegung formierende, durch Querstreben verbundene Vertikalformen vermitteln die Einsicht, dass Entwicklung nicht harmonisch verlaufen muss, der Weg auch über Störungen und Widersprüche zum Ziel führt. Womöglich gerade darum.
Galerie Läkemäker: Schwedter Str. 17, bis 17. Mai 2014, Mi-Sa 14-18 Uhr. Tel: 747 86 538 oder 0175-885-2361. www.laekemaeker.com
Ein minimales Wunder geschieht: Was mir vor dieser mit Acrylfarben auf Leinwand gemalten Abstraktion mit dem kryptischen Titel „LON ki“, vor diesem aus Pappe und ebenfalls Acrylfarben gemachten, verschachtelten Turm namens „Strukturierte Vertikale“ passiert, ist etwas Seltenes: Das geflechtartige Labyrinth all der Vertikalen und Horizontalen, der Ebenen und Vertiefungen, der Fläche und des Raumes – sie führen beim langen Hinsehen zu einer Ordnung, die auf fast geometrische, jedenfalls mathematische Weise für Harmonie sorgt.
Seit ich – ziemlich abgehetzt, der Tag war hektisch, die Stadt voll und laut und die Zeit wieder mal viel zu knapp – die Galerie Läkemäker betreten, mich vor Günther Hornigs Bilder und Skulpturen gesetzt hatte, schwand jener diffuse Zustand von Durcheinander. Auf einmal war mir nicht mehr zumute wie einem auf den Fußboden gekippten Pudding. Das vermeintliche Chaos in meiner Optik, in meinem Kopf ordnete sich allmählich, wich einem Gefühl von Strukturiertheit und angenehmer Klarheit.
Dieser analytische, visionäre Dresdner Künstler, Jahrgang 1937, geboren in Bitterfeld, aber nie auf dem „Bitterfelder Weg“ der DDR-Kunstpolitik, hat sie also – geistig wie handwerklich – im Griff – die Kraft der Kunst, in der sich nach aller Logik gegenseitig ausschließende Prinzipien wie Chaos und Ordnung, Disharmonie und Harmonie zu einem übergeordneten Sinnbild fügen.
Ein Paradoxon eigentlich, schließlich verräumlicht Hornig die Malerei. Er vermischt informelle und konstruktive Tendenzen, bringt die bildnerische Form erst in einen labilen Ausnahmezustand und klärt dann alles zu einer neuen Ordnung. Er überzieht die Flächen mit einer farbintensiven, lebhaften Formensprache, die viel erzählen könnte. Tatsächlich aber zeigt sie nichts im Sinne von narrativem Inhalt.
Da sage einer noch, Dresden habe vierzig DDR-Jahre lang, also bis 1989, im „Tal der toten Augen“ gelegen: Weil das West-Fernsehen nicht bis dorthin strahlte. Weil die wenigsten Künstler einen Reispass „nach drüben“ bekamen. Oder weil das Publikum eher auf Traditionelles, sprich, Realistisches stand.
Visionäre Ideen von Freiheit
Seit den 1970er-Jahren ist der Maler, Plastiker, Bühnenbildner Hornig den so alltäglichen, wie oft auch mystischen Lebensprinzipien Chaos und Ordnung auf der Spur. Werke, die seither im Dresdner Künstlerhaus an der Pillnitzer Landstraße entstehen, ein merkwürdiges Gebäude, das mit seinen Halbgeschossen einem Labyrinth gleicht und dem Drang des Malers zum Räumlichen schon immer beste Anregung lieferte, sind deutlicher Dialog mit dem Konstruktivismus und Dekonstruktivismus, dem Impressionismus und Expressionismus, dem Kubismus, Futurismus, ebenso die Farbfeldmalerei und das Informel nach 1945.
Hornig hat diese Stile der Moderne hartnäckig befragt. Aber seine Arbeiten liefern keine direkten Antworten für Welt und Kunst heute. Und zugleich sind seine Struktur-Bilder und fragilen Turmkonstrukte zugleich Referenzen an die großen Konstruktivisten des 20. Jahrhunderts: an Tatlin, Malewitsch, El Lissitzky, Naum Gabo, Moholy-Nagy, Josef Albers, Mondrian und die De Stijl-Künstler. Zudem stand der damals junge Hornig auch im anregenden Kontakt mit dem alten, im Westen geschätzten Dresdner Konstruktivisten Hermann Glöckner.
Und auch das sei angemerkt: Hornig begann seine konstruktivistischen Materialbilder, die Rhythmisierung der Farbe, die De-Collage und Collage schon gut zehn Jahre vor dem erfolgreichen westdeutschen Konstruktivisten Imi Knoebel. Dieser wurde weltberühmt. Hornig, in Dresden hingegen, durfte mit seinen kreativen, visionären Ideen von der Freiheit und der Kraft und dem – mit seiner philosophischen Vision – überaus alltagstauglichen, weil aufklärenden Potenzial der Kunst lediglich als kleiner Grundlagen-Lehrer an der Akademie der Kunststadt wirken.
Sein abstrakter, analytischer, konstruktiver Stil vor der Wende zwar nicht so recht ins Kunstbild vom Realismus gepasst, wurde aber in der DDR durchaus als interessante Variante der unendlichen Möglichkeiten von Malerei akzeptiert; seine Arbeiten waren auf den großen Schauen sparsam vertreten . Der gebürtige Bitterfelder Hornig wollte nicht auf den Bitterfelder Weg der DDR-Kulturpolitik pilgern. Sein Jakobsweg zur Offenbarung (der Kunst) lag im Einzelgängertum.
Aber das wurde im Kunst- und Lehrbetrieb erst spät erkannt. 1993 kam schließlich die Berufung in eine Professur an seiner Kunsthochschule; schon 2002 emeritierte er. Heute sehr erfolgreiche Maler wie Thomas Scheibitz oder Frank Nitsche waren damals seine Schüler.
Ein Labyrinth, das lehren uns Hornigs dynamische Arbeiten, ist kein Ort der Orientierungslosigkeit. Seine Farb-Raum-Analysen und Energie-Gebilde lesen sich wie universale, gesellschaftliche Wegzeichen. Als Denkmodelle. Seine farbigen Stäbe, Vierecke, Gitterstrukturen und sich rhythmisch zur Massenbewegung formierende, durch Querstreben verbundene Vertikalformen vermitteln die Einsicht, dass Entwicklung nicht harmonisch verlaufen muss, der Weg auch über Störungen und Widersprüche zum Ziel führt. Womöglich gerade darum.
Galerie Läkemäker: Schwedter Str. 17, bis 17. Mai 2014, Mi-Sa 14-18 Uhr. Tel: 747 86 538 oder 0175-885-2361. www.laekemaeker.com
15.04.2014, Berliner Zeitung BZ 15.04.2014 S.21
KUNST & MARKT
MICHAEL ZAJONZ:
Eruptionen eines Zen-Meisters
Günther Hornig war in der DDR ein Geheimtipp. Die Galerie Läkemäker hat den einflussreichen Maler neu entdeckt
Der Blick aus dem Fenster macht schlagartig klar, wie aktuell dieser Altmeister ist. Psychedelische Farbexplosionen auf den neuen Bildern von Günther Hornig, der vor wenigen Wochen seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Und vis-a-vis der neuen Räume der Galerie Läkemäker von Johannes Zielke eine Sporthalle, auf deren Wand Street-Art-Aktivisten ihre Tags gesprayt haben. Im Vergleich wirken Hornigs Leinwände frischer, unangestrengter, aber auch provozierender als die Graffitis auf der anderen Straßenseite.
Wäre es nicht anmaßend, einen Künstler von siebzig Jahren so zu etikettieren, müsste man Günther Hornigs Ausstellung "Raum-Energien" als Geheimtipp bezeichnen. Ein Gradmesser für Jüngere ist er auf jeden Fall. Franz Ackermanns fantastische Farbräume: gegenüber Hornig beinahe blass. Thomas Scheibitz knallbuntgeometrische Skulpturen: undenkbar ohne den älteren, der in Dresden Professor war, als Scheibitz dort studierte. Mit den Arbeiten, die Scheibitz 2005 im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig ausgestellt hat, können Hornigs fast zwei Jahrzehnte zuvor entstandene, von der Wand in den Raum wuchernde Objekte locker mithalten.
Hornigs Biografie liest sich für einen aus der DDR stammenden und zu Mauerfall-Zeiten über 50-jährigen Künstler symptomatisch. Geboren 1937 in Bitterfeld, lebt und arbeitet er seit einem halben Jahrhundert in Dresden. In den Westen wollte er nicht, obwohl sein Werk vor der Wende nur Eingeweihten ein Begriff war. Nach Anf?ngen als Theatermaler und Bühnenbildassistent in Halle und Potsdam studierte er in Dresden, wo Gerhard Richter zu seinen Kommilitonen gehörte, und kehrte danach zumindest als Hochschullehrer zum Bühnenbild zurück.
Unter den Bedingungen des realsozialistischen Kunstbetriebs war die Lehrtätigkeit für Bühnenbild an der Dresdner Kunsthochschule ein Freiraum: Mit seinen Studenten erprobte Hornig schon früh performative Kunstformen. Erhard Monden, der künstlerische Aktionspartner von Joseph Beuys in der DDR, und die "Autoperforationsartisten" Else Gabriel, Via Lewandowsky, Micha Brendel und Rainer G?r?sind durch Hornigs Schule gegangen. Keine Einbahnstra?e, wie Hornig findet: "Unser Zusammenspiel war ein absolutes Miteinander. Ich habe viel von ihnen profitiert."
Hornig selbst hat sich nie so weit exponiert wie seine ehemaligen Studenten. Eine Alters- und Temperamentfrage: Der Künstler, der mittlerweile die Gelassenheit eines Zen-Meisters ausstrahlt, feilt seit Mitte der siebziger Jahre konsequent an seinen Bildern, Reliefs und Skulpturen. Das Neue ergab sich bei ihm folgerichtig aus dem Vorausgegangenen - obwohl Hornig auch vor spielerischen Ab- und Umleitungen vom Königsweg seiner Kunst nicht halt gemacht hat.
Auch die fünf mittelformatigen, zwischen 1991 und 2000 entstandenen Gemälde, die Johannes Zielke nun zeigt (6600 - 12 800 Euro), bauen auf Collagen und Materialbildern der siebziger und achtziger Jahre auf und stehen doch für eine durch und durch zeitgen?ssische Malerei. Sie wirkt zugleich räumlich und flächig, Vorder- und Hintergrund als gleichwertige Bildelemente überlagern sich nicht, sondern durchdringen einander. Hornig nennt das "Proportionalität massendynamischer Energien". Gebrochene geometrische Formen gehen in organischen Verschlingungen auf, und umgekehrt. Mit der gleichen traumwandlerischen Sicherheit kombiniert Hornig unmögliche Farbstellungen wie Rosa zu Schwefelgelb, Braun zu Türkis. Das Ergebnis ist eine höhere Form fordernder Harmonie: anstrengend und animierend gleichzeitig.
Hornigs Raffinesse in der Fläche ist das Ergebnis jahrzehntelanger Beschäftigung mit Raum und Materie. Diese Findungsphase ab Mitte der siebziger Jahre dokumentiert Zielke, der Hornig seit 1990 schon viermal ausgestellt hat, mit einigen typischen Arbeiten, darunter ein frühes amorphes Materialbild mit zement überspritzten Schnüren (15 000 Euro) und ein paar Mitte der achtziger Jahre entstandenen Reliefs, auf denen sich farbige Pappstreifen zu Ordnungssystemen am Rande der Chaostheorie schichten (ab 10 800 Euro). Er wolle "Malerei einsehbar machen", erklärt der Künstler dazu.
Ganz Hornig - und dabei eine wunderbare Entdeckung - sind die ebenfalls um 1985 entstandenen energetischen Collagen aus Buntpapierstreifen (je 4500 Euro). Hier wird ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen konstruktiv-konkreten Dresdner Altmeistern wie Hermann Glöckner oder Karl-Heinz Adler deutlich: Hornigs Humor. Denn bei allem Furor, mit dem Hornig der Frage nachgeht, was ein Bild im Innersten zusammenhält, hat seine Kunst nie ihre Leichtigkeit verloren.
Eruptionen eines Zen-Meisters
Günther Hornig war in der DDR ein Geheimtipp. Die Galerie Läkemäker hat den einflussreichen Maler neu entdeckt
Der Blick aus dem Fenster macht schlagartig klar, wie aktuell dieser Altmeister ist. Psychedelische Farbexplosionen auf den neuen Bildern von Günther Hornig, der vor wenigen Wochen seinen 70. Geburtstag gefeiert hat. Und vis-a-vis der neuen Räume der Galerie Läkemäker von Johannes Zielke eine Sporthalle, auf deren Wand Street-Art-Aktivisten ihre Tags gesprayt haben. Im Vergleich wirken Hornigs Leinwände frischer, unangestrengter, aber auch provozierender als die Graffitis auf der anderen Straßenseite.
Wäre es nicht anmaßend, einen Künstler von siebzig Jahren so zu etikettieren, müsste man Günther Hornigs Ausstellung "Raum-Energien" als Geheimtipp bezeichnen. Ein Gradmesser für Jüngere ist er auf jeden Fall. Franz Ackermanns fantastische Farbräume: gegenüber Hornig beinahe blass. Thomas Scheibitz knallbuntgeometrische Skulpturen: undenkbar ohne den älteren, der in Dresden Professor war, als Scheibitz dort studierte. Mit den Arbeiten, die Scheibitz 2005 im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig ausgestellt hat, können Hornigs fast zwei Jahrzehnte zuvor entstandene, von der Wand in den Raum wuchernde Objekte locker mithalten.
Hornigs Biografie liest sich für einen aus der DDR stammenden und zu Mauerfall-Zeiten über 50-jährigen Künstler symptomatisch. Geboren 1937 in Bitterfeld, lebt und arbeitet er seit einem halben Jahrhundert in Dresden. In den Westen wollte er nicht, obwohl sein Werk vor der Wende nur Eingeweihten ein Begriff war. Nach Anf?ngen als Theatermaler und Bühnenbildassistent in Halle und Potsdam studierte er in Dresden, wo Gerhard Richter zu seinen Kommilitonen gehörte, und kehrte danach zumindest als Hochschullehrer zum Bühnenbild zurück.
Unter den Bedingungen des realsozialistischen Kunstbetriebs war die Lehrtätigkeit für Bühnenbild an der Dresdner Kunsthochschule ein Freiraum: Mit seinen Studenten erprobte Hornig schon früh performative Kunstformen. Erhard Monden, der künstlerische Aktionspartner von Joseph Beuys in der DDR, und die "Autoperforationsartisten" Else Gabriel, Via Lewandowsky, Micha Brendel und Rainer G?r?sind durch Hornigs Schule gegangen. Keine Einbahnstra?e, wie Hornig findet: "Unser Zusammenspiel war ein absolutes Miteinander. Ich habe viel von ihnen profitiert."
Hornig selbst hat sich nie so weit exponiert wie seine ehemaligen Studenten. Eine Alters- und Temperamentfrage: Der Künstler, der mittlerweile die Gelassenheit eines Zen-Meisters ausstrahlt, feilt seit Mitte der siebziger Jahre konsequent an seinen Bildern, Reliefs und Skulpturen. Das Neue ergab sich bei ihm folgerichtig aus dem Vorausgegangenen - obwohl Hornig auch vor spielerischen Ab- und Umleitungen vom Königsweg seiner Kunst nicht halt gemacht hat.
Auch die fünf mittelformatigen, zwischen 1991 und 2000 entstandenen Gemälde, die Johannes Zielke nun zeigt (6600 - 12 800 Euro), bauen auf Collagen und Materialbildern der siebziger und achtziger Jahre auf und stehen doch für eine durch und durch zeitgen?ssische Malerei. Sie wirkt zugleich räumlich und flächig, Vorder- und Hintergrund als gleichwertige Bildelemente überlagern sich nicht, sondern durchdringen einander. Hornig nennt das "Proportionalität massendynamischer Energien". Gebrochene geometrische Formen gehen in organischen Verschlingungen auf, und umgekehrt. Mit der gleichen traumwandlerischen Sicherheit kombiniert Hornig unmögliche Farbstellungen wie Rosa zu Schwefelgelb, Braun zu Türkis. Das Ergebnis ist eine höhere Form fordernder Harmonie: anstrengend und animierend gleichzeitig.
Hornigs Raffinesse in der Fläche ist das Ergebnis jahrzehntelanger Beschäftigung mit Raum und Materie. Diese Findungsphase ab Mitte der siebziger Jahre dokumentiert Zielke, der Hornig seit 1990 schon viermal ausgestellt hat, mit einigen typischen Arbeiten, darunter ein frühes amorphes Materialbild mit zement überspritzten Schnüren (15 000 Euro) und ein paar Mitte der achtziger Jahre entstandenen Reliefs, auf denen sich farbige Pappstreifen zu Ordnungssystemen am Rande der Chaostheorie schichten (ab 10 800 Euro). Er wolle "Malerei einsehbar machen", erklärt der Künstler dazu.
Ganz Hornig - und dabei eine wunderbare Entdeckung - sind die ebenfalls um 1985 entstandenen energetischen Collagen aus Buntpapierstreifen (je 4500 Euro). Hier wird ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen konstruktiv-konkreten Dresdner Altmeistern wie Hermann Glöckner oder Karl-Heinz Adler deutlich: Hornigs Humor. Denn bei allem Furor, mit dem Hornig der Frage nachgeht, was ein Bild im Innersten zusammenhält, hat seine Kunst nie ihre Leichtigkeit verloren.
31.03.2007, xxxxxxxxxx Nr. 19505, S. 26