Farbwahn
Neue Abstraktionen von Lev Khesin bei Läkemäker.
Wie macht Lev Khesin das nur? Seine Bilder in der Galerie Läkemäker sind so etwas wie auf Leinwand gebannte Poesie – spirituelle Farbfantasien, die zu jeder Tageszeit die Stimmung wechseln. Natürlich könnte man jetzt auf die abstrakte Moderne verweisen und Analogien zur russischen Schule suchen. Khesin ist schließlich in Russland geboren. Doch geht das wirklich auf?
Wer sich mit den Bildern dieses Künstlers länger beschäftigt, der erkennt – neben den Vorbildern des Impressionismus und der amerikanischen Farbfeldmalerei – schnell eine individuelle Handschrift. Khesins Kunst ist außergewöhnlich und radikal, weil sie allen aktuellen Strömungen zum Trotz auf den Reichtum der Farben vertraut und im Zusammenspiel ein wildes, wuchtiges Flimmern kreiert.
So erwachsen aus feinen Nuancen gewaltige Kompositionen, die geradezu süchtig machen (Preise: 950–10 500 Euro).
Lev Khesin, der bei Frank Badur an der Universität der Künste (UdK) in Berlin studiert hat, setzt seine neuesten Bilder aus verschiedenen Silikonschichten zusammen, die gemeinsam ein dichtes Farbspektrum ergeben. Nirgends ist ein Motiv zu sehen, nirgends eine Gestalt zu erkennen, und trotzdem ereignen sich auf diesen Bildern ganze Dramen. Auf einem der Werke glaubt man, die Oberfläche einer nassen Straße zu sehen. Dann erscheint das drängende, glänzende Blau wie die Welle einer Flut, die die Morgenröte im oberen Teil des Bildes ins Jenseits verbannt. Man wandert umher und wechselt die Perspektive, während die Kunst zu schimmern, zu leuchten, zu klingen beginnt. Chamäleonartig variieren die Eindrücke, wie bei einer Karussellfahrt mit Glockenspiel. Kann man von Kunst eigentlich noch mehr verlangen?
Die Produktionsprozesse, die dahinterstecken, müssen ungeheuer aufwendig sein. Nur die verfranzten Ränder deuten an, dass es sich um minutiöse Arbeit handelt. Einige Bilder ruhen in sich selbst, andere scheinen ausbrechen und sich selbst verletzen zu wollen. Jetzt sieht man Punkte, Trümmer, korallenartige Geschwüre, die sich ins Zentrum drängen und dunkel das eigene Sein beklagen. Und plötzlich ahnt man, dass es sich hier um zutiefst menschliche Zustände handelt. Wenn Stimmungen Bilder wären, dann müssten sie Werke von Lev Khesin sein.
Tomasz Kurianowicz
Neue Abstraktionen von Lev Khesin bei Läkemäker.
Wie macht Lev Khesin das nur? Seine Bilder in der Galerie Läkemäker sind so etwas wie auf Leinwand gebannte Poesie – spirituelle Farbfantasien, die zu jeder Tageszeit die Stimmung wechseln. Natürlich könnte man jetzt auf die abstrakte Moderne verweisen und Analogien zur russischen Schule suchen. Khesin ist schließlich in Russland geboren. Doch geht das wirklich auf?
Wer sich mit den Bildern dieses Künstlers länger beschäftigt, der erkennt – neben den Vorbildern des Impressionismus und der amerikanischen Farbfeldmalerei – schnell eine individuelle Handschrift. Khesins Kunst ist außergewöhnlich und radikal, weil sie allen aktuellen Strömungen zum Trotz auf den Reichtum der Farben vertraut und im Zusammenspiel ein wildes, wuchtiges Flimmern kreiert.
So erwachsen aus feinen Nuancen gewaltige Kompositionen, die geradezu süchtig machen (Preise: 950–10 500 Euro).
Lev Khesin, der bei Frank Badur an der Universität der Künste (UdK) in Berlin studiert hat, setzt seine neuesten Bilder aus verschiedenen Silikonschichten zusammen, die gemeinsam ein dichtes Farbspektrum ergeben. Nirgends ist ein Motiv zu sehen, nirgends eine Gestalt zu erkennen, und trotzdem ereignen sich auf diesen Bildern ganze Dramen. Auf einem der Werke glaubt man, die Oberfläche einer nassen Straße zu sehen. Dann erscheint das drängende, glänzende Blau wie die Welle einer Flut, die die Morgenröte im oberen Teil des Bildes ins Jenseits verbannt. Man wandert umher und wechselt die Perspektive, während die Kunst zu schimmern, zu leuchten, zu klingen beginnt. Chamäleonartig variieren die Eindrücke, wie bei einer Karussellfahrt mit Glockenspiel. Kann man von Kunst eigentlich noch mehr verlangen?
Die Produktionsprozesse, die dahinterstecken, müssen ungeheuer aufwendig sein. Nur die verfranzten Ränder deuten an, dass es sich um minutiöse Arbeit handelt. Einige Bilder ruhen in sich selbst, andere scheinen ausbrechen und sich selbst verletzen zu wollen. Jetzt sieht man Punkte, Trümmer, korallenartige Geschwüre, die sich ins Zentrum drängen und dunkel das eigene Sein beklagen. Und plötzlich ahnt man, dass es sich hier um zutiefst menschliche Zustände handelt. Wenn Stimmungen Bilder wären, dann müssten sie Werke von Lev Khesin sein.
Tomasz Kurianowicz
21.07.2012, KUNST & MARKT DER TAGESSPIEGEL
Bloß keine Eindeutigkeiten
Der in Berlin lebende junge Russe Lev Khesin zeigt in der Galerie Läkemäker seine geheimnisvollen Bilder namens Onomatopoeia
Das oszilliert kühn und selbstbewusst zwischen den Impressionisten und den amerikanischen Farbfeldmalern und Lichtkünstlern der Nachkriegsmoderne. Das changiert zwischen Monet und Rothko, als gelte es, diese Hohepriester des Lichtspiels und der Farbfeldmalerei zu ehren und zugleich herauszufordern.
"Mpusho" taufte der in Berlin lebende Maler Lev Khesin sein Diptychon von 2010 aus der Reihe "Onomatopoeia". Das Doppelbild mit dem rätselhaften Namen ist eine Zäsur in der bisherigen Arbeit des erst 29-jährigen Russen, der in Pensa geboren wurde und an der Universität der Künste bei Frank Badur studierte. Das Gemälde ist etwas Besonderes, weil in ihm alle vorherigen Bilder zu kulminieren scheinen.
Außerdem benutzte Khesin für seine "Farbfeldforschungen" neue Materialien - etwas Silikon - und vor allem Licht. Es ist, also wolle auch er auf die Weise, mit diesen mystischen pulvrigen leuchtenden, vibrierenden Oberflächen nach den letzten Dingen der Existenz fragen. Und als wolle er auch mit der Alchemie aus Farbe, Licht und ungewöhnlichem Material von Lebensgier und Todesahnungen erzählen, ohne dass auch nur ein einziger Gegenstand oder Körper real zu sehen wäre. Khesin malt nicht im traditionellen Sinne.
"Mein Ziel ist es, Sichtbares zu schaffen, dass sich nicht mit den Begriffen und Bezeichnungen von Gegenständen und Phänomenen kategorisieren lässt", erklärt er. "Eindeutigkeit soll vermieden werden zugunsten haptischer und farblicher Qualitäten."
Bei Khesin "wachsen" die Bilder durch das sukzessive Aufschichten von Material. Das dauert mitunter bis zu einem Jahr und auch länger. "So, wie Rothko sich von Giotto und Fra Angelico inspirieren ließ, scheinen mir bei Khesin die Seele und Traditionen alter Ikonen einzufließen", meint Galerist Johannes Zielke, der in seinem Ausstellungsprogramm immer wieder sehr eigenständige, sehr ausgefallene Maler entdeckt und nun diesem jungen Künstler zum dritten Male ein Podium gibt.
Und hier wirken wohl auch der Familiengeist, das ererbte Talent nach: Lev Khesins Eltern sind Ikonenmaler in Leipzig und sein Großvater war ein bekannter Ingenieur und Erfinder im russischen Pensa. Dieses Erbe mischt sich in Khesins Bildern; Experiment und spirituelle Aufladung der Tafelbilder, die er meist auf Holzträger malt. Konturen, erkennbare Dinge oder Gestalten gibt es nicht. Die Formen zerfließen diffus und melancholisch ineinander. Wie seinen großen Vorbildern in der Farbfeldmalerei geht es ihm offensichtlich um reine Farbe, Licht, Stille, Leere, um Andacht - und seelische Zustände. Um das Drama des Lebens eben.
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Galerie Läkemäker Johannes Zielke, Schwedter Straße 17. Bis 6. November, Mi-Sa 14-18 Uhr.
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Foto: Mit "Mpusho" begibt sich der junge russische Maler Lev Khesin kühn in das Fahrwasser der Farbfeldmaler. Und er grüßt Monet.
Der in Berlin lebende junge Russe Lev Khesin zeigt in der Galerie Läkemäker seine geheimnisvollen Bilder namens Onomatopoeia
Das oszilliert kühn und selbstbewusst zwischen den Impressionisten und den amerikanischen Farbfeldmalern und Lichtkünstlern der Nachkriegsmoderne. Das changiert zwischen Monet und Rothko, als gelte es, diese Hohepriester des Lichtspiels und der Farbfeldmalerei zu ehren und zugleich herauszufordern.
"Mpusho" taufte der in Berlin lebende Maler Lev Khesin sein Diptychon von 2010 aus der Reihe "Onomatopoeia". Das Doppelbild mit dem rätselhaften Namen ist eine Zäsur in der bisherigen Arbeit des erst 29-jährigen Russen, der in Pensa geboren wurde und an der Universität der Künste bei Frank Badur studierte. Das Gemälde ist etwas Besonderes, weil in ihm alle vorherigen Bilder zu kulminieren scheinen.
Außerdem benutzte Khesin für seine "Farbfeldforschungen" neue Materialien - etwas Silikon - und vor allem Licht. Es ist, also wolle auch er auf die Weise, mit diesen mystischen pulvrigen leuchtenden, vibrierenden Oberflächen nach den letzten Dingen der Existenz fragen. Und als wolle er auch mit der Alchemie aus Farbe, Licht und ungewöhnlichem Material von Lebensgier und Todesahnungen erzählen, ohne dass auch nur ein einziger Gegenstand oder Körper real zu sehen wäre. Khesin malt nicht im traditionellen Sinne.
"Mein Ziel ist es, Sichtbares zu schaffen, dass sich nicht mit den Begriffen und Bezeichnungen von Gegenständen und Phänomenen kategorisieren lässt", erklärt er. "Eindeutigkeit soll vermieden werden zugunsten haptischer und farblicher Qualitäten."
Bei Khesin "wachsen" die Bilder durch das sukzessive Aufschichten von Material. Das dauert mitunter bis zu einem Jahr und auch länger. "So, wie Rothko sich von Giotto und Fra Angelico inspirieren ließ, scheinen mir bei Khesin die Seele und Traditionen alter Ikonen einzufließen", meint Galerist Johannes Zielke, der in seinem Ausstellungsprogramm immer wieder sehr eigenständige, sehr ausgefallene Maler entdeckt und nun diesem jungen Künstler zum dritten Male ein Podium gibt.
Und hier wirken wohl auch der Familiengeist, das ererbte Talent nach: Lev Khesins Eltern sind Ikonenmaler in Leipzig und sein Großvater war ein bekannter Ingenieur und Erfinder im russischen Pensa. Dieses Erbe mischt sich in Khesins Bildern; Experiment und spirituelle Aufladung der Tafelbilder, die er meist auf Holzträger malt. Konturen, erkennbare Dinge oder Gestalten gibt es nicht. Die Formen zerfließen diffus und melancholisch ineinander. Wie seinen großen Vorbildern in der Farbfeldmalerei geht es ihm offensichtlich um reine Farbe, Licht, Stille, Leere, um Andacht - und seelische Zustände. Um das Drama des Lebens eben.
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Galerie Läkemäker Johannes Zielke, Schwedter Straße 17. Bis 6. November, Mi-Sa 14-18 Uhr.
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Foto: Mit "Mpusho" begibt sich der junge russische Maler Lev Khesin kühn in das Fahrwasser der Farbfeldmaler. Und er grüßt Monet.
07.10.2010, Berliner Zeitung/Kulturkalender 7. - 13.10.2010/Seite 9
KUNST & MARKT
JENS HINRICHSEN: Töne treffen -
Jens Hinrichsen sucht nach dem Geheimnis von Blau, Grün und Rot:
Wem es zu bunt wird, dem empfiehlt sich ein konzentrierter Aufenthalt in der Galerie Läkemäker: Wie Christian Awe hat auch der 1981 in Russland geborene Lev Khesin an der Berliner UdK studiert, bei Frank Badur. In Khesins Ausstellung "Silicone Valley" wird das Wechselspiel von Farbe und Material zum Abenteuer: Die zwischen Mal- und Objektkunst changierenden Werke führen in Licht- und Schattenzonen, zu grellfarbigen Kliffkanten und in düster gefärbte Untiefen. Khesin spachtelt mit Pigmenten versetzte Silikonlagen zu im wahrsten Wortsinn vielschichtigen Materialbildern (680 - 9000 Euro). Während an den Rändern meist dicke Krusten wie von erstarrtem Kerzenwachs stehen bleiben, überlagern sich die transparenten Farbschleier und -schlieren im Bildgrund zu tausendundeiner Farbmischung, etwa zur bläulich eisigen Fläche des Bildes "Omnium gatherum".
In vielen der oft kühn kolorierten Farbklanggedichte scheinen Geheimnisse verborgen; da überrascht nicht, dass Khesin von russischen Ikonenmalern abstammt. Inspiriert scheint er auch von modernen Abstrakten wie Rothko oder Pollock, seine offensichtliche Experimentierlust vermeidet indes jedes Epigonentum. Bemerkenswert: Trotz der Vielfalt und obwohl Khesin noch in weiteren Medien wie Zeichnung, Fotografie und Experimentalfilm arbeitet, fällt sein Werk nicht auseinander. Wie selbstverständlich findet er immer wieder zum malerischen Kern seiner Arbeit zurück. Ohne Hyperaktivität, ganz unangestrengt (Schwedter Straße 17, bis 3. November).
Jens Hinrichsen sucht nach dem Geheimnis von Blau, Grün und Rot:
Wem es zu bunt wird, dem empfiehlt sich ein konzentrierter Aufenthalt in der Galerie Läkemäker: Wie Christian Awe hat auch der 1981 in Russland geborene Lev Khesin an der Berliner UdK studiert, bei Frank Badur. In Khesins Ausstellung "Silicone Valley" wird das Wechselspiel von Farbe und Material zum Abenteuer: Die zwischen Mal- und Objektkunst changierenden Werke führen in Licht- und Schattenzonen, zu grellfarbigen Kliffkanten und in düster gefärbte Untiefen. Khesin spachtelt mit Pigmenten versetzte Silikonlagen zu im wahrsten Wortsinn vielschichtigen Materialbildern (680 - 9000 Euro). Während an den Rändern meist dicke Krusten wie von erstarrtem Kerzenwachs stehen bleiben, überlagern sich die transparenten Farbschleier und -schlieren im Bildgrund zu tausendundeiner Farbmischung, etwa zur bläulich eisigen Fläche des Bildes "Omnium gatherum".
In vielen der oft kühn kolorierten Farbklanggedichte scheinen Geheimnisse verborgen; da überrascht nicht, dass Khesin von russischen Ikonenmalern abstammt. Inspiriert scheint er auch von modernen Abstrakten wie Rothko oder Pollock, seine offensichtliche Experimentierlust vermeidet indes jedes Epigonentum. Bemerkenswert: Trotz der Vielfalt und obwohl Khesin noch in weiteren Medien wie Zeichnung, Fotografie und Experimentalfilm arbeitet, fällt sein Werk nicht auseinander. Wie selbstverständlich findet er immer wieder zum malerischen Kern seiner Arbeit zurück. Ohne Hyperaktivität, ganz unangestrengt (Schwedter Straße 17, bis 3. November).
27.10.2007, S. 29, KUNST STÜCKE